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TipTui – Performance Undercover Zurich Review Back to Projects
Ines Kleesattel on TipTui – Performance Undercover
The following text is an excerpt from the text Fabulieren, Atmen, Zögern. Relationale Praktiken verstrickter Differenzierung (Fabulating, Breathing, Hesitating. Relational Practices of Entangled Differentiation) by Ines Kleesattel. The text appears in the publication Writing the body with the body – Essays, Texts and Performances (Volume B) by Stefanie Knobel, Primeur, Edition Fink. The quotations in italics are taken from Stefanie Knobel's performance texts, unless otherwise indicated.
Als ich mit dem Fahrrad an der Raum::Station ankomme, sehe ich durch die grossen Fenster des Projektraums Bekannte und Freund*innen stehend oder auf Matratzen am Boden sitzend, die Blicke nach unten oder oben gerichtet, konzentriert lauschend. Die Gelb-, Rot- und Brauntöne der von der Decke hängenden und Matratzen umhüllenden Polyesterstoffe glänzen warm in einer an Spätnachmittagslicht erinnernden Beleuchtung. Die Prints der Stoffe changieren zwischen digitalen Pixelstrukturen und ältlichen Mustern, wie ich sie von Tüchern aus der Jugendzeit meiner Grossmutter kenne. Von aussen in den Raum blickend fühle ich mich willkommen, in vertrauter Umgebung, freue mich aufs Eintreten. Als ich die Tür dann aber öffne, wird mir merkwürdig unbehaglich. Ich habe das Gefühl zu stören – als würde ich verspätet in eine Performance platzen, die schon begonnen hat. Dabei findet hier gar keine Performance statt – zumindest nicht derart, dass als Performer*innen ausgewiesene Körper zur Aufführung kämen. Auch die Baumwolle, die ich (inzwischen mit Stefanie Knobels Arbeit gut vertraut) eigentlich erwartet habe, glänzt durch (physische) Abwesenheit. Doch der raum werde sich ganz im präsens aufwatten, von der stoffbordüre begrenzt und untermalt mehrsprachige, mitunter schrill kreischende, dann wieder in angenehmer Intonation sprechende Stimmen, die aus kleinen auf die Fensterscheiben montierten Lautsprechern tönen. So erlaubt gerade das Ausbleiben offenkundig performerischer Ko-Präsenz, dass diese «Performance Undercover» andere agierende Anwesenheiten – (Kunst-)Stoffe und Körper, Stimmen und Perspektiven, Konventionen und Relationen – in den Vordergrund treten lässt. You will not get of rid of me, the Bihar cotton says. No, I won’t get rid of you, I say.

Mein Eindruck, dass es hier um «uns» geht – um mich und die anderen Vernissage-Besucher*innen –, verstärkt sich dadurch, dass die Stimmen, die da von den Scheiben tönen, von den Tuis berichten. Gemäss Bertolt Brecht steht «Tui» für Telekt-Uell-In oder genauer für kritische Intellektuelle, die mit ihrer weiss waschenden Kritikkompetenz zu kapitalistischer Profit optimierung beitragen, während sie in Kunst und Kultur für ihre vermeintlich widerständige Autonomie verehrt werden. Till today, Tuis have the idea that our minds are free – in this time of art, technology, and performance.

Ich denke an ein Gespräch über «Die Arbeit mit Performance», das ich vor einiger Zeit gelesen habe und in dem Sabeth Buchmann problematisiert, dass der Kunstbetrieb noch immer «dazu tendiert, Performance als das Andere des Markts zu idealisieren».1 Derweil verlegt Tip Tui – Performance Undercover (2019) den Plot von Brechts Turandot oder Der Kongress der Weisswäscher – einer 1969 in Zürich uraufgeführten Parabel auf das faschistische Deutschland, die von einem vor der Öffentlichkeit verheimlichten und schliesslich in Brand gesteckten Baumwollvorrat handelt – in die heutige Gegenwart globalisiert agierender Tech-Performance: Das Weisswaschen von Gewobenem, dieser Ansammlung von Fäden, die sich durch die Geschichte des Computing und der Technologie ziehen.

Die von den Fenstern schallenden Stimmen sprechen mal synchron, mal asynchron, gelegentlich auch allein von Optimierung und Evaluation, von Leugnung und kulturbeflissenem Whitewashing, von Performance und Produktivität.
«Kooperation ist […] unmittelbar wertschöpfend als Sozialkapital, und Kunst hat hier womöglich eine Modellfunktion für post-fordistische Arbeitskulturen: Wo Kunst den eigenen Produktionsprozess im Produzierten mit zur Darstellung bringt, wirkt es sich auf den ästhetischen und wiederum auch ökonomischen Wert einer Arbeit aus, wer da mit wem zusammengearbeitet hat»2, sagt Kai van Eikels im Gespräch mit Buchmann; everybody is accepted as long as they’re productive … ertönt eine Stimme von der Fensterscheibe. Mit Blick auf die Muster der glänzenden Stoffe, die Lautsprecher, ihre Verkabelungen und die anderen Vernissage-Besucher*innen frage ich mich: Wer arbeitet hier, in dieser Performance Undercover mit wem zusammen; was alles partizipiert, performt, wird produktiv, lässt sich evaluieren und valorisieren? What is a cotton optimiser? Beziehungsweise: Wer und was beteiligt sich auf welche Weise an welchen Bewertungen und Wertschöpfungen? Und während ich Knobels Stimme einen Dialog mit der abwesenden Baumwolle, die sie doch nicht loswird, führen höre, denke ich über «uns» hier im Raum anwesende Personen nach. Etliche sind mir bekannt – kritischpolitische Künstler*innen, Theoretiker*innen und Kulturarbeiter* innen, in der Mehrzahl aus der Schweiz und aus Deutschland stammend, nur wenige of colour. Was werden «wir», die wir uns hier, in diesem Projektraum, nach kurzem Zögern, ob «die Kunst» das hier verbietet oder wünscht, auf synthetischen Stoffen niederlassen, die die Künstler*in mit der finanziellen Unterstützung von Schweizer Kulturförderung aus Bangalore nach Zürich brachte, was werden wir hier alles nicht los? Was werden wir nicht los, obwohl es nicht augenscheinlich und direkt physisch präsent, aber doch wirkmächtig ab-/anwesend ist?
Fussnoten

1 Sabeth Buchmann in: «Die Arbeit mit Performance. Ein Gespräch über Zusammenarbeit, Kollektivität und den Wert von Performance», in: Texte zur Kunst, Heft 110 (2018), S. 119–139, hier S. 129.
2 Kai van Eikels in: «Die Arbeit mit Performance» (Anm. 12), S. 119.