Ines Kleesattel zu A heavy, heavy duty in Zürich
Der folgende Text ist ein Auszug aus dem Artikel «a more adequate, richer, better account of the world...» Zum Unterschied von 'Alternative Facts' und Fiktionen, wie die Welt sie braucht von Ines Kleesattel. Der Text erschien in der Zeitschrift kultuRRevolution Nr. 75, November 2018 (Ausgabe 2/2018).
Die kursiv hervorgehobenen Zitate sind dem gesprochenen Text von A heavy heavy duty von Stefanie Knobel und Angela Wittwer entnommen.
Aus vier im Ausstellungsraum verteilten Lautsprechern erklingen mäandernd eine Erzählstimme und rhythmische Geräusche von Bürsten, Rascheln, Reiben. Sie überlagern sich, wechseln sich ab, bilden ein unregelmässiges Geflecht, immer wieder unterbrochen von unvorhersehbaren Pausen, zuweilen abrupt, auch mitten im Satz. Auf einem Plexiglas-Tischchen finden sich Stapel kopierter Hefte zum Lesen und Mitnehmen sowie eine Petrischale mit ein paar wenigen graugrünen, behaarten Samen. Die im Heft zu lesenden Texte sind andere als die im Raum zu hörende Geschichte; aber es gibt Berührungspunkte – durch assoziativ thematische Fortführungen und dadurch, dass beides fragmentarisch und von Unterbrüchen durchsetzt sind.
Das Heft enthält Ausschnitte von Reise- und Rechercheberichten der Künstlerinnen Knobel und Wittwer, Lektürenotizen und Gesprächstranskripte, Notizen zu ihrem (undisziplinär)methodischen Vorgehen, historische Daten und Erläuterungen zu Baumwollhandel und -produktion zwischen Indien und der Schweiz vom frühen 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Die aus immer anderen Richtungen mal näher, mal ferner rückende Stimme erzählt unterdessen eine Art technoutopische Sci-Fi-Geschichte. Der Erzählung präzise folgen zu wollen, wäre vergebens, zu eigensinnig sind ihre Formulierungen, zu zergliedert ihre Sätze, zu phantastisch ihr Verlauf.
Im Karpaswatte aufgesättigten, randvoll angewatteten Raum _
werde mich die Überfülle an den Rand drücken. Der Raum werde sich ganz im Präsenz aufwatten, _ _ Lügen _ _ werden über
meine Lippen und über meinen Körper fliessen.
Streifen, die sich zu Streifen _ _ sowie auf Pyjamahosen bündeln,
werden sich zuerst mit mir _ körperrhythmisch _ _ _ auf und ab
bewegen _ und anschliessend _ in den Takt des Raumes übergehend _ die Karpaswatte durchweben.
Mit der Zeit werde das eine streifenweite Überschwemmung auslösen, die den Landstreifen auf seinem Gesamtstück durchtränken werde, _ auf dem auch ich sein werde. _ _ _ Von der gemeinsamen Zukunft werde nur Lauge zurückgeblieben sein. _ _ Lauge, _ _ die sich verhärtet haben werde. Und die sich nur überaus aufwendig wegscheuern lassen werde. Unterhalb der festgekrusteten Lauge, _ _ an der Stelle, wo sich alle Schweisstropfen versammelt haben werden, _ _ _ könne ein Quietschen als Echo _ _ _ in der Ewigkeit vernehmbar sein, _ _ wenn bei einer Scheuerpause in den porzellanigen _ _ _ Badewannenrand hineingelauscht werde.
Mit der Zeit werde das eine streifenweite Überschwemmung auslösen, die den Landstreifen auf seinem Gesamtstück durchtränken werde, _ auf dem auch ich sein werde. _ _ _ Von der gemeinsamen Zukunft werde nur Lauge zurückgeblieben sein. _ _ Lauge, _ _ die sich verhärtet haben werde. Und die sich nur überaus aufwendig wegscheuern lassen werde. Unterhalb der festgekrusteten Lauge, _ _ an der Stelle, wo sich alle Schweisstropfen versammelt haben werden, _ _ _ könne ein Quietschen als Echo _ _ _ in der Ewigkeit vernehmbar sein, _ _ wenn bei einer Scheuerpause in den porzellanigen _ _ _ Badewannenrand hineingelauscht werde.
In welcher Zeit wird da gesprochen? Futur II in indirekter Rede? Nicht weiter wichtig, schon versinke ich erneut im Klangteppich aus reibenden, rieselnden und bürstenden Sounds, die von intensiven Begegnungen zwischen Körpern, Stoffen und Apparaturen herrühren. Unwillkürlich wippe ich im Takt; lese einen Satz oder zwei aus dem Booklet, während aus einem Lautsprecher unvermittelt die Sprecherin mit ihrer Erzählung fortfährt. Sinnbruchstücke erlauben punktuelle Ein- und Durchblicke und halten doch immer präsent, dass so vieles noch ungesagt bleibt: Fragmente und einzelne rote Fäden aus globalhistorischen Zusammenhängen von Baumwollhandel, Spinnen, Weben und Anpflanzen, von synthetischen Stoffen und chemischen Substanzen, Pharmazeutischem und Logistischem, von vielfältigen Nebenwirkungen gestern und heute, verqueren Körperlichkeiten, kollaborativen Praktiken und nichtmenschlichen Agencies. Das poetisch-phantastische Narrativ imaginiert hybride Materialitäten, verkuppelt Stoffliches, Maschinisches und Affektives, tilgt Subjekt-Objekt-Dichotomien, verkompliziert Lokalisierungen und verquert lineare Zeitachsen. Dass der lustvoll-spielerische, zuweilen auch formalistisch-meditative Umgang mit den Geräuschen des Arbeitens, Agierens und Berührens indessen nie esoterisch oder weltflüchtig wird, liegt an den stets ebenfalls vorhandenen kritischen Kontextualisierungen, die sich nicht nur explizit in den Texten des Booklets finden, sondern implizit auch in die fabulierende Erzählung, die voller Ambivalenzen ist, schleichen. Es ist ein und dasselbe Gefüge, dieselbe Realität, die hier zugleich soziohistorisch analysiert und postanthropozentristisch fabulierend erweitert wird. Nicht dingfest zu machende und dennoch vorhandene Widerspenstigkeiten tun sich dabei im Allerkleinsten auf: in multirelational verstrickten Pyjamahosenstreifen, die aus Reih und Glied herauswabern oder, klein und pelzig, in von indischen Agraraktivist_innen heimlich gezüchteten alternativen Baumwollsamen. Verunmöglichte Möglichkeiten werden in Textuellem und Textilem, in Pflanzen, Chemikalien, Maschinen, Migrationen, Relationalitäten und Produktivitäten aufgespürt; A heavy heavy duty von Stefanie Knobel und Angela Wittwer deutet sie nicht nur diskursiv an, sondern verkörpert, praktiziert und affiziert sie, bringt sie zum Tanzen. (An einigen Abenden legen die Künstlerinnen die Sounds als Textildisko auf.)
[…]
Wo Fiktionen die Realität komplexitätssteigernd verdoppeln und multiplere Relationalitäten zwischen vielfältigeren Akteuren vernehmbar machen, schlagen sie politisch eine gleichheitlicher geteilte Welt und epistemologisch einen angemesseneren Zugang zu dieser Welt vor. Indem sie die Möglichkeitshorizonte der Vernehmbarkeiten, Handlungsfähigkeiten, Bezugnahmen, Daseins- und Ausdrucksformen mit ästhetisch-künstlerischen Mitteln gleichheitspolitisch verschieben, eröffnen sie neben einem gemeinschaftlichen Leben, das weniger ungerecht ist, auch ein weniger gewaltförmigeres Erkennen. Für eine solcherart politische Epistemologie ist Kritik an bestehenden Gewaltverhältnisse ebenso unverzichtbar wie realitätstranszendierendes Imaginieren, Aufspüren und Vernehmen von verschütteten, ausgelöschten oder nie zum Vorschein gekommenen Alternativen — aber eben nicht x-beliebiger Alternativen. Politische Fiktionen sind Neuaufteilungen des Sinnlichen, die sich nicht in einer kantisch entweltlichten Unbestimmtheitsästhetik auflösen, sondern einen Orientierungsmassstab besitzen; eine Orientierung, die sich nicht mit den Identitäts-, Exklusions- und Souveränitätsbegehren von AfD- und Alt-Right-Anhängerlnnen vertragt; denn sie richtet sich auf: «a more adequate, richer, better account of a world, in order to live in it well and in critical, reflexive relation to our own as well as others’ practices of domination and the unequal parts of privilege and oppression that make up all positions» (Haraway 1985, 579).
Bei Knobel und Wittwer beinhaltet diese privilegienkritisch-emanzipatorisch Epistemologie auch, über mehr als nur menschliche Perspektiven zu fabulieren, gegenwärtig und ehemals wirksame Agencies von Biochemischem und Technoökologischem in zukünftige Richtungen weiterzuspinnen, multirelationalere Raumzeitgefüge vernehmbar zu machen. Damit geht ihre Fiktion über das, was Rancière sich als Politik vorzustellen bereit ist, hinaus — wie Jane Bennett berichtet: «When asked in public whether he thought that an animal or a plant or a drug or a (nonlinguistic) sound could disrupt the police order, Rancière said no: he did not want to extend the concept of the political that far; nonhumans do not qualify as participants in a demos; the disruption effect must be accompanied by the desire to engage in reasoned discourse.» (Bennett 2010, 106) Meines Erachtens hat Bennett recht (politisch und epistemologisch), wenn sie Rancières politische Theorie dennoch in radikaldemokratischere und rationalitätskritischere Richtungen weiterspinnt. «Despite this reply, I think that even against his will, so to speak, Rancière’s model contains inklings of and opportunities for a more (vital) materialist theory of democracy. Consider, for example, the way it imagines the being of the demos: not as a formed thing or fixed entity, but as an unruly activity or indeterminate wave of energy. The demos is, we read, 'neither the sum of the population nor the disfavored element within', but an excess: irreducible to the particular bodies involved. [...] Rancière implicitly raises this question: Is the power to disrupt really limited to human speakers?» (Ebd.)
Literatur
Bennett, Jane (2010); Vibrant Matter. A Political Ecology of Things,
Durham.
Haraway, Donna (1985): Manifesto for Cyborgs: Science, Technology, and
Socialist Feminism in the 1980s, in: Socialist Review No. 80, S. 65-108.